"Ist übrigens nicht, wenn Du sagst,

wir seien im Wesen dem Kommen

der antwortende Einlaß und also die Antwort,

ist nicht >Antwort< auch im Wort

das Selbe wie >Gegenwart<?"

(Abendgespräch)

 

 

§7: DAS PRAKTISCHE SELBSTVERHÄLTNIS (HEIDEGGER)

Wünschen und Wollen

(156 ff)

 

Heideggers Theorie ist kohärent und der Gedankengang imgrunde einfach und intuitiv. Das Vorgehen ist rein analytisch, was die Analyse des Phänomens der „Entschlossenheit“ angeht, das sich bekanntlich als die zentrale Charakterisierung der Eigentlichkeit herausstellt. Heidegger beschreibt ausschließlich den eigentümlichen Sinn derjenigen Haltung, die wir „entschlossen“ nennen. Schaltet man nämlich die Möglichkeit aus, daß man sozusagen „virtuell“ entschlossen sein kann, dann wechselt in einer entschlossenen Haltung nicht der „Inhalt“ meiner Welt, sondern nur mein Verhältnis zu ihr. Aber weil es sich um keine bestimmten „Inhalte“ handelt, zu denen ich mich verhalte, muß man korrekterweise formulieren, daß das Verhältnis zu mir sich ändert. Dadurch, daß „Entschlossenheit“ eben nur ein Verhalten meint, in dem sich meine zeitlichen Horizonte konstituieren, und der Begriff nicht einen konkreten Vollzug im Sinne von „entschlossen zu etwa Bestimmten“ meint, wechselt nur der situative Charakter und die eigene Zuschreibung meiner Handlungsmöglichkeiten, nicht aber letztere selbst. „Zur Entschlossenheit gehört notwendig die Unbestimmtheit“. Es ist daher völlig überzeugend, wenn Heidegger von einer „Entschlossenheit zu sich selbst“ spricht. Ich verstehe im Modus der Eigentlichkeit bzw. der Entschlossenheit, daß Handlungen Vollzüge sind, die ich mir nicht mehr nur äußerlich zuschreiben kann, weil sie im strengen Sinne mein Sein und nicht meine Eigenschaften ausmachen. Handlungen sind „eigentlich“ immer meine Handlungen (obwohl ich sie uneigentlich als etwas Kontingentes verstehen kann) und daher ist es einsichtig, wenn Heidegger darauf hinweist, daß das Selbst im eigentlichen Sinne erst mit der Konstitution der Entschlossenheit, also der Handlungssituation, auftaucht. In diesem Sinne folgt Heidegger einer fichteschen Traditionslinie, die das Primat des Praktischen mit der Theorie des Selbst oder des Selbstbewußtseins zu verknüpfen sucht. Ein eigentliches Selbst-Bewußtsein ist diesen Ansätzen zufolge nur durch die „Tat“ zu gewinnen. Das bedeutet: es ist ein Verhältnis, das nicht mehr als ein rein passives Verhältnis beschrieben werden kann, wie es dasjenige Bewußtsein darstellt, das wir gewöhnlicherweise „Selbstbewußtsein“ im Sinne einer basalen Selbstreferentialität nennen.

 

Kommen wir auf die Unterscheidung der beiden Möglichkeitsbegriffe und die Unterscheidung von Wünschen und Wollen zurück. Es ist interessant festzustellen, daß Heidegger die Unterscheidung von Wünschen und Wollen nicht nur an zentraler Stelle anspricht, sondern mithilfe ihrer auch die Unterscheidung von Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit, von fremdbestimmten und selbstbestimmten Selbst, klarer gemacht werden kann.

 

Man könnte zunächst meinen, daß Wünschen und Wollen nicht entscheidend sind, weil Heidegger meint, daß die Sorge beiden Vollzügen voraus geht. Damit aber liefert er für uns selbst das richtige Argument. Er schreibt: „Sorge kann nicht ein besonderes Verhalten zum Selbst meinen“. Die Sorgestruktur ist, wie der Name schon sagt, eine Struktur, die das Dasein als Ganzheit kennzeichnet. Bei ihrer Einführung definiert Heidegger die Sorge ausschließlich als das Verhältnis des „Sich-vorweg-schon-sein-in-(der-Welt) als Sein-bei (innerweltlich begegnendem Seienden).“ Diese Struktur umgreift jeden Vollzug und kann daher auch nicht mehr differenziert werden. Das aber bedeutet, daß sich Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit als besondere Selbstverhältnisse interpretieren lassen müssen, woraus konsequenterweise folgt, daß sie sich über andere Kriterien bestimmen. Die Sorge spielt für die Differenzen keine Rolle, d.h. sie ist bloß eine ontologische Voraussetzung für andere Vollzüge, aber es kann nicht weiterhelfen, den Unterschied von Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit aufzuklären. Wir können uns eine Diskussion der Sorge daher hier ersparen.

 

Ein Kriterium, das dafür der geeigneteste Kandidat darstellt, ist der Wille. Heidegger schreibt nämlich: „Das Seinkönnen ist es, worumwillen das Dasein je ist, wie es faktisch ist. Sofern nun aber dieses Sein zum Seinkönnen selbst durch die Freiheit bestimmt wird, kann sich das Dasein zu seinen Möglichkeiten auch unwillentlich verhalten, es kann uneigentlich sein und ist faktisch zunächst und zumeist in dieser Weise. Das eigentliche Worumwillen bleibt unergriffen“. Aus diesem Zitat muß man den Schluß ziehen, daß die Eigentlichkeit untrennbar mit dem Wollen und die Uneigentlichkeit mit dem Nichtwollen verknüpft ist. Da aber das Nichtwollen nicht auch als ein Wollen bestimmt werden kann, weil man sonst in einen Bestimmungszirkel hineingeraten würde, muß man nach einem anderen Verständnis Ausschau halten, das als Oponent des Wollens in Frage kommt. Und in der Tat: Heidegger setzt dem Phänomen des Wollens, in dem „die zugrundeliegende Ganzheit der Sorge“ durchscheint, das Phänomen des Wünschens entgegen. Er schreibt: „Im Wunsch entwirft das Dasein sein Sein auf Möglichkeiten, die im Besorgen nicht einmal bedacht und erwartet wird. Im Gegenteil: die Vorherrschaft des Sichvorweg-seins im Modus des bloßen Wünschens bringt ein Unverständnis der faktischen Möglichkeiten mit sich“.

 

Dadurch daß das Wünschen als ein Verständnis charakterisiert ist, das – in Husserls Worten – die Setzung der Realisierung vermissen läßt, bezieht es sich nur auf Nicht-Gegenwärtiges, das als „Unergriffenes“ jeglichen Bezug zum Seinkönnen verliert. In anderen Worten: das Wünschen ist das zentrale Phänomen, an dem man sehen kann, in welchem Sinne man sich zu seinen eigenen Möglichkeiten im Sinne von modalen Möglichkeiten verhalten kann. Das Wünschen charakterisiert demnach exakt denjenigen Modus, der dadurch ausgezeichnet ist, daß es sich durch ein Nichthandelnkönnen bzw. Nichthandeln auszeichnet. Es ist daher der zentrale Vollzug auch des „Man-Selbst“, wenn man mitbedenkt, daß Heidegger Wünschen und Wollen als Selbst-Verhältnisse interpretiert. Das „Man“ hat dem Dasein seine eigenen Möglichkeiten „abgenommen“, d.h. es selbst hat sie sich abgenommen, weil das „Man“ eine Modifikation des Selbstbezuges darstellt. In diesem Sinne ist das Man-Selbst als ein Nicht-Handelndes ausgezeichnet.

 

Das hat wiederum den Effekt, daß das Wünschen wie das alltägliche Verhalten eine „Abblendung des Möglichen als solchen“ impliziert, weil es jede Möglichkeit als eine Möglichkeit erfaßt, die dadurch charakterisiert ist, daß sie sich als das „nicht jemals Notwendige“ und das „noch nicht Wirkliche“ darstellt. Durch den Verlust jeglichen Bezuges auf das Gegenwärtige und „Wirkliche“, den das Wünschen im temporalen Sinne „überspringt“, verliert es den Charakter der praktischen Möglichkeit oder des Seinkönnens. Verhalte ich mich zu meinen zeitlichen Horizonten im Sinne des Wünschens, dann verstehe ich mein eigenes Sein als eines, das kontingent ist. Um es an einem Beispiel zu illustrieren: Wenn ich die Möglichkeit, das Rauchen aufzuhören, im Modus des Wünschens setze, verhalte ich mich zu meiner Zukunft und meinem eigenen zukünftigen Sein erstens im Sinne des Überspringens der „Wirklichkeit“ (ich rauche nämlich noch, wenn ich wünsche, und lasse das sozusagen außer acht), und zweitens verhalte ich mich im Sinne Heideggers „möglichkeitsblind“, weil ich die Möglichkeit, mit dem Rauchen aufzuhören, überhaupt nicht als meine (aktuelle) Möglichkeit erfasse. Ich erfasse sie bloß schlechthin im formalen Sinne als eine Möglichkeit, die mit keinem praktischen Bezug zu meiner Gegenwart ausgestattet ist. Das Wünschen stellt sich also als ein Phänomen dar, das als „Schein“ zu definieren ist. Heidegger meint selbst, daß das Wünschen bloß den „Schein“ entstehen lasse, „es geschehe etwas“. Mit anderen Worten: offenbar „geschieht etwas“, wenn ich mich zu mir selbst nicht mehr im Modus des Wünschens verhalte. Mit Geschehen ist demnach das Handeln selbst gemeint. So heißt es in der Kantvorlesung aus dem Jahre 1931: „Wirklich wollen ist immer hier und jetzt, das ist nicht wünschen zu wollen, oder sich denken, man wolle. Wirklich wollen, das ist auch nicht so im allgemeinen sich vornehmen, energisch zu sein, sondern wirklich wollen ist: jederzeit, hier und jetzt wollen“

 

Letzteres bestimmt Heidegger in seinen Ausführungen als ein „Vorlaufen“, wohingegen das Wünschen als ein „Nachhängen“ charakterisiert wird. Heidegger hat mit dieser Beschreibung im Auge, daß das Wünschen, gerade weil es seine Realisierbarkeit nicht mitsetzt, im Grunde die modalen Möglichkeiten, zu denen es sich verhält, als den eigenen temporalen Horizont überschreitende Möglichkeiten setzt. Ich laufe den Möglichkeiten im Wünschen gleichermaßen hinterher anstatt sie als diejenigen zu entwerfen, in denen ich mich schon verstehe. Im Wünschen setzte ich das Erwünschte als etwas außerhalb meiner Erreichbarkeit und Gegenwart, wohingegen ich im Wollen das Gewollte in meinen eigenen Horizont hineinhole und es so zu einer praktischen Möglichkeit mache. In anderen Worten: will ich mit dem Rauchen aufhören, begreife ich die Möglichkeit des Rauchens als eine Möglichkeit meines Seins und meiner Existenz, und das bedeutet, daß ich es als wirkliche Möglichkeit setze. Heidegger drückt das in seinen Worten in der Weise aus, daß das Wollen ein „auf seine Möglichkeit entworfenes Seiendes [...] als [...] in sein Sein zu bringendes ergriffen“ (SuZ, 194) wird. Daher spricht Heidegger auch davon, daß im Wollen erst ein Bezug zum Eigenen im Sinne zu eigenen Möglichkeiten hergestellt wird. Im Wollen „bindet sich das Dasein an ein Seinkönnen zu sich selbst“ und so ist es sich selbst aufgegeben. Es macht sich zur Aufgabe: „Alles Entscheidende ist uns selbst aufgegeben und unserer Freiheit anheimgestellt“.